Manchmal freut man sich ein Jahr auf
etwas und kurz bevor es soweit ist, möchte man am liebsten absagen. So stand ich
zwei Tage vor der Tour hinter der großen Glasschiebetür im Wohnzimmer und
betrachtete die Bindfäden, die es draußen regnete. Beim letzten Telefonat
mit unserem großen Messias Alfred sagte er ziemlich optimistisch, dass das, was
es jetzt regnet, nicht mehr während unserer Zweiradreise aus dem Himmel fallen
könne. Optimismus hin, Optimismus her, alle Wetterberichte hatten Scheißwetter
vorausgesagt, nicht nur Regen, auch Kälte und Wind.
Am Donnerstag war es dann soweit, wir mussten zu unhumaner Zeit aus dem Bett, weil
die auserwählte Bahnverbindung nach Osnabrück um 06.50 Uhr ab Bahnhof Sande
genutzt sein sollte. Die Drahtesel hatte ich bereits am Vorabend beim jeweiligen Besitzer
mit dem PKW-Anhänger meines Bruders eingesammelt. Der hatte sich nicht zum ersten
Mal bereit erklärt auch seine Nachtruhe vorzeitig zu beenden, um uns und unsere
Technik zum Bahnhof zu kutschieren. Für diese morgendlichen Unternehmungen hatte
er uns auch schon früher mal mit seinem betagten, grün bemoosten Lieferwagen
zum Bahnhof verbracht. Auch wenn nach dem Start des Motors das ganze Dorf geweckt war,
trauern alle diesem sehr geräumigen aber bereits abgeschafften Transportmittel
nach. Ich hatte mich jedenfalls mit der Kapazität seines jetzt genutzten Anhängers
etwas verschätzt, und die Ladung von 9 Rädern war nicht ganz einfach. Glücklicherweise
half Berthold, der kurz entschlossen mit mir fuhr. So klapperten wir gemeinsam die
Maaljooger ab. Bei Jörg und Renate konnten wir die bereits legendäre, oft
erprobte Reiseverköstigung "Tullermor Dew" testen. Alfred hatte an diesem
Abend einen Internetausdruck des angeblich letzten Wetterberichtes vorzuweisen. Dieser
wich jedoch sehr positiv von denen ab, die ich zuletzt gelesen hatte und war meiner
Meinung nach selbst gemacht bzw. gefälscht. Wer Wetterberichte nachmacht oder
fälscht oder nachgemachte oder gefälschte in Umlauf bringt ist ein Hinrichs.
Um 06.30 war es am nebelumhüllten Bahnhof Sande noch recht ruhig. Um 06.31 trafen
wir ein! Zwei vollbesetzte PKW, einer mit dem bereits erwähnten und überladenen
Anhänger. Weitere 10 Minuten später stand die Truppe mit Gerät und Ausrüstung
am Gleis der übersichtlichen Bahnimmobilie. Die Tour sollte anno 2006 von nur
9 Maaljoogern bestritten werden. Alfred, Detlef, Claudia, Jörg, Renate, Berthold,
Manuela, Ulrike und ich. Vermisst wurde Linda, Hylke und Alfreds Edith. Die drei waren
entschuldigt ausgefallen und lagen sicherlich noch träumend in Ihren weichen Daunen.
Grund genug, um mal anzurufen und zu fragen, ob sie noch schliefen. Heutzutage hat
ja jeder schnell sein Handy parat. Ich hab's bei Hylke versucht, sollte ich doch seine
Pflichten als Geldeintreiber und Fahrradflicker übernehmen und hatte bereits den
ersten Euro Strafgeld wegen eines Schimpfwortes eingenommen. Immer wieder erstaunlich
ist die Tatsache, dass die Bahn uns in ein paar Stunden zu einem Ort bringen kann,
für den unsere Truppe mehrer Tage verwendet, um die Rückreise zu bewältigen.
Die Erklärung liegt hauptsächlich in den häufigen Pausen. So beginnt
eine Etappe immer mit einem üppigen Frühstück. Hierfür hatten wir,
in Osnabrück angekommen, direkt das Frühstücksbuffet vom bahnhofsnahen
Akzent-Hotel gewählt. Das große Buffet, mit Sekt und allem "Drum und
Dran", Lachs, Rührei, Schinken, Salaten, frischen Brötchen, Croissants.
Ich will ja nicht übertreiben, aber 2 Stunden haben wir darauf verwendet, bevor
wir überhaupt auf die Räder kamen. Beim Frühstück hatte ich noch
geprahlt, dass die Tour des ersten Tages ja eigentlich in 3 Stunden zu schaffen sein
sollte. Alfred hat mich nur mitleidig angeschaut. Ich wusste natürlich auch warum.
Es gibt für Maaljoogertouren wiederkehrende Phänomene, die die liebenswerten
Verzögerungen verursachen. Nach dem Start und den ersten 500 Metern steht der
erste Teilnehmer nämlich wieder, um ein Schutzblech oder eine Bremse zu richten,
die am maroden Reifen schleift und dabei ein wiederkehrendes unangenehmes Geräusch
verursacht. Die Folge ist, dass dieser Zurückbleibende irgendwann von der Spitze
bemerkt wird, die dann auch anhält und auf ihn wartet. Meistens fummelt dann einer
der Spitzenreiter bereits nach einigen Sekunden an seinen Packtaschen herum und reicht
die ersten Zwischenmalzeiten oder das erste Schnäpschen herum, die er daraus zum
Vorschein brachte. Nachdem der Nachzügler die Gruppe wieder erreicht, das behobene
technische Problem erläutert und seinen Part am Angebot verzehrt hat, geht es
weiter. Das ganze wiederholt sich in größer werdenden Abständen auf
den ersten 10 km mehrfach bis alle Räder einigermaßen zufrieden stellend
laufen, alle Reifen gepumpt, die Tachometer geeicht und Packtaschen richtig befestigt
sind. Dann kommen die geplanten Pausen an Sehenswürdigkeiten oder zur Mittagszeit,
die notwendigen Pausen nach langen Steigungen oder schlechten Wegstrecken und die zusätzlichen
ungeplanten Pausen an den wenig gut beleumundeten Pommesfritesbuden. Diese Stätten
der Gastlichkeit können durchaus, wie aus dem Nichts auftauchen. Natürlich
kann eine Pommesfritesbude, die mitten im Gelände vor einem Zementwerk ihr Dasein
fristet, gleichzeitig an unserer Wegstrecke liegt und an einem Feiertag geöffnet
hat, nur als göttliche Fügung betrachtet werden. Hier unachtend weiterfahren
kann nur ein Heide, der sich vorm Zorn des beleidigten Schöpfers in Acht nehmen
müsste. Gerade Zubereitungsstätten für Currywürste werden aus bestimmten
Gründen gerne angefahren und für einen halbstündigen Stopp genutzt.
Anschließend folgt meist ein schwerfälliger Aufbruch, der dann bereits oft
nur 300 Metern weiter wieder abrupt zum stehen kommt, weil endlich die öffentliche
Toilette gefunden wurde und von der kompletten Damenmannschaft genutzt werden muss.
Diese Schilderungen sind zwar allgemein gehalten, beschreiben jedoch den ungefähren
Ablauf der ersten Etappe und die Gründe für den immensen Zeitaufwand für
ca. 50 km Fahrstrecke. Ach ja, Kaffee und Kuchen hatte ich ganz vergessen, den nahmen
wir in einem schönen Restaurant bevor wir unser Hotel bezogen. Ein Edelhotel mit
Schwimmbad und Sauna. Ersteres wurde sogar von Jörg und Renate benutzt. Dieser
erfrischende Besuch war sicherlich der Grund dafür, dass Jörg nicht wie üblich
irgendwann und mitten im Gespräch einschlief. Gleichzeitig war mir aufgefallen,
dass seine auch schon spärliche Frisur beim Abendessen einen leichten Flokaticharakter
angenommen hatte. Da wir mehr oder weniger plattdeutsch miteinander sprechen, kommt
es häufig zu wiederkehrenden Frasen, die mittlerweile sogar Detlef können
sollte. Detlef ist ein Mett-Mann (Mettmann, Kleinstadt bei Düsseldorf). Beim Abendessen
wird häufig diese Feststellung zitiert: "Well de ganzen Dach et, de mach
wohl wat". Die Übersetzung bedeutet nicht, dass wenn einer den ganzen Tag
was tut, abends Hungrig ist. Die meisten von uns gönnen sich gerne als letztes
Tagesmahl ein Steak oder Schlemmertöpfchen mit ca. drei abschließenden Aquaviten.
Selten kann man sich nach solch einem Tag noch lang auf den Beinen halten. Auch das
Sitzen wird zur Qual, nein das einzig Senkrechte ist dann die Waagerechte und es geht
auf die wohlverdiente Lagerstätte.
Es ist kaum zu glauben, dass wir am nächsten Tag wieder Hunger haben konnten.
Aber ausgeschlafen, am Freitagmorgen nach kurzem Frühstücksfernsehen und
der Morgentoilette ging es zum Frühstücksbuffet. Ein guter Tag beginnt mit
gutem Kaffee und frischen Brötchen. Wir hatten uns hier für 08.00 Uhr verabredet,
damit wir um 09.00 Uhr aufbrechen konnten. Ein halbes Stündchen braucht man noch
für das Gegenteil von Essen, die Taschen packen und runterschleppen, die Räder
aus ihren Garagen kramen und beladen. Nach einem Startfoto vorm Hotel und mit kreuzendem
Rasenmäher ging es los. Alfred gab die Richtung an. Jetzt möchte ich erwähnen,
dass unser Anführer bisher all seine Streckenplanungen mit extrem kompliziert
erstelltem Kartenmaterial dokumentierte. Das war meist ein Packen von 15-20 Blatt,
alle in Klarsichthülle und im oberen Teil seiner Packtaschen verstaut. Diese wurden
dann einzeln auf einem katastrophal gefertigten Kartenhalter am Lenker fixiert und
regelmäßig gewechselt. Der Kartenhalter war Teils gelötet, Teils geschweißt
und wahrscheinlich auch geklebt. Die Einzelteile, die hierdurch nicht beisammen blieben,
wurden durch natoolive Lackfarbe gehalten. Um diesem Anblick auf solch edlem Rade ein
Ende zu bereiten, hatte ich ihm das Ding auch mal aus V2A erneuert. Leider kam dieser
nie zu Einsatz. Mit zweitem Akkupack versorgt, zeigt nun ein PDA mit Satellitenantenne
und Navigationssoftware den Weg. Natürlich hat auch diese Errungenschaft der Elektrotechnik
einige Tücken und muss besonders vor Regen geschützt werden. Hierfür
diente, stolz vorgeführt, ein Gefrierbeutel mit patentiertem Tupperware-Verschluss,
der seither im Haushalt seiner Frau fehlt. Problematisch wird es auch, wenn die gesamte
Truppe einen schlechten, aber geplanten Weg nicht einhalten will. An diesem Nachmittag
hatte ich Alfred Navigationsgerät bei einem solchem Vorfall mal aufs Display geschaut
und einen wegweisenden Pfeil in entgegen gesetzter Richtung erblickt. Wenn Alfred mehr
aufs Display als auf die Strasse schaut oder mit runzeliger Stirn Einfahrten mustert,
die wir bereits passiert haben, kann man davon ausgehen, dass wir uns nicht auf dem
richtigen Pfad bewegen. Es war auch schon im Zeitalter der Karten ratsam, nicht zu
weit vorzufahren. Manchmal hatte ich bereits einen halben Kilometer Vorsprung und musste
umkehren, da er statt einem glatt asphaltierten Radweg eine mullsandige Traktorspur
im Acker bevorzugte. Für diese Gelegenheiten benutzt Alfred eine Trillerpfeife
oder sagt zum Nächsten nur "hier müssen wir lang" was sich dann,
über die nicht ganz so " Stille Post" der Gruppe, zu einem laut gerufenen
"Umdrehen" wandelt. Am Ende einer Tagesetappe haben somit auch alle mehr
Kilometer auf ihren Uhren als Alfred, was auch wieder zu heftigen Diskussionen beitragen
kann. Da die kleinen Tachometer mittlerweile hochpräzise Messinstrumente sind,
kann es nur an der Kalibrierung liegen, sagt Alfred. Man müsse hierbei das Rad
schon mit seinem Gewicht belasten, um den vorgeschriebenen Umfang abzurollen. Bei der
rechnerischen Methode über Durchmesser und Pi, würde die Verformung der Reifen
unberücksichtigt bleiben. Das Thema schneide ich immer wieder gerne an, wenn ich
neben Alfred radele und wir verstricken uns dabei in die absurdesten Theorien. Am Ende
wird doch immer Alfreds Wert als offizielle gefahrene Stecke für seine Homepagestatistik
akzeptiert. Neben so schönen Gesprächen, die man auf dem Rad über so
vollkommen unwichtige Dinge führen kann, gibt es natürlich sehr viel zu sehen.
Egal ob man durch Städte, Dörfer oder durch die Landschaft radelt, jeder
sieht etwas, dass ihn interessiert oder begeistert. Jörg zum Beispiel, lebt bei
jedem Reh oder Hasen auf. Auch Traktoren, die mit ihren Bauern durch die Gegend fahren
sind für ihn erwähnenswert. Bei den letzten Touren ist für ihn eine
weitere Sehenswürdigkeit hinzugekommen und wir müssen uns auf jede Photovoltaikanlage
aufmerksam machen lassen, die die Bedachung irgendeiner Stallung ziert. Manuela und
ich hatten besonderen Spaß an einer Wiese mit freilaufenden Schweinen. Zwei Säue
waren ausgebrochen und sonnten sich außerhalb des Zaunes zufrieden im Straßengraben.
Das eine hieß sicherlich Cabanossi, das andere Mortadella. Auf solchen Stecken
werden die schönsten Flecken für die bereit erwähnten Pausen genutzt
und Unruhe tritt nur auf, wenn der befahrene Landstrich in Ermangelung gastronomischer
Einrichtungen den Verzehr eines frischen Alsters verhindert. Dann heißt es durchhalten
bis zum Tagesziel. Für heute hatte Alfred uns das Hotel zur Wasserburg gebucht
und bevor wir uns auf die Zimmer zur Pflege des Hinterteiles machten, wurde der quälende
Durst gelöscht. Hierbei konnten wir bereits unser Abendmahl a la Carte erwählen
und die Zubereitung für 20.00 Uhr bestimmen. Wir waren in einem sehr schönen,
separat errichteten Fachwerkhaus untergebracht. Der transparent überdachte Weg
zwischen Restaurante und Unterkunft war der letzte Weg des Tages, der Weg in Betts
und wurde teilweise schon sehr breitbeinig beschritten.
Am nächsten Morgen, dem dritten Tag der diesjährigen Tour, ahnte noch keiner,
dass es der Tag der Pannen werden würde. Oder war das mit Detlefs Rad doch am
Vortag. Ich bin mir nicht mehr sicher. Wir hatten uns jedenfalls irgendwann für
einen Eisbecher entschieden, ein entsprechendes Lokal auserkoren und den Besitzer mit
unserem zusätzlichen Umsatz erfreut. Räder mit der schweren Taschen und Koffern
sollten hieran angelehnt abgestellt werden, ermahnt uns der Messias immer. Niemals
Radständer benutzen, die ihre Aufgabe durch einschieben des Vorderrades erfüllen.
Aber unser Detlef hat diese Empfehlung missachtet und beim ersten Löffel aus dem
Amarenabecher klapperte es aus der Richtung des Parkplatzes. Das Vorderrad ähnelte
mehr einer Brezel als der bereits bekannten Acht und es wurde eine Notreparatur fällig.
Mit etwas Gewalt und einem Speichenspanner konnten wir die Felge soweit richten, dass
sie irgendwie durch die gelöste Bremse taumelte. Der zufriedene Italiener erklärte
uns den Weg zum nächsten Fahrradladen und Einer nach dem Anderen brach in diese
Richtung auf, Detlef und ich vorneweg. Eigentlich hätte der Rest der Truppe auf
unsere Rückkehr warten und weitere Eisspezialitäten probieren können,
doch der Besuch eines Fahrradladens ist immer allen willkommen. Kann man doch die in
den Schaufenstern oder im Freien ausgestellten Velos mustern oder noch wichtiges Zubehör
erstehen, die verstorbene Knopfzelle aus dem Tachometer wechseln oder die längst
gewünschte Lenkertasche zur Unterbringung der wichtigsten Utensilien nachrüsten.
Der Ladenbesitzer nutzte seine Mittagspause damit, den Seitenstreifen seines Straßenabschnittes
zu mähen, hatte also keine Eile uns zu bedienen, was auch keinen sonderlich störte
. Da jede Panne oder Montage unter Hilfestellung des kostenpflichtigen Fitzflickers
Geld in die Gemeinschaftskasse bringt, war das Klappern aus Richtung Parkplatz auch
ein Klingeln in der Strafgeldflasche, für die ich diesmal die Verantwortung hatte.
Der Vorfall hatte uns eine Stunde aus dem Zeitplan geraubt und 6 Euro in die Kasse
gebracht. Am Nachmittag war Alfred dann dran. Plattfuß am Hinterrad des großen
Meister. Schimpft er doch immer über die betagten Pneus seiner Mitreisenden. Oft
hat er Claudias porös wirkende Reifen gemustert, doch ich erinnere mich an keinen
Plattfuß bei ihr. Die Panne wurde mit einem neuen Schlauch behoben, denn Flickereien
kommen Alfred nicht in die Tüte. Der neue Schlauch hielt seine mühsam verdichtete
Gasfüllung aber leider nur 500m in sich. Ein kleines, aber spitzes Steinchen,
unbelastet nicht fühlbar, verbarg sich im Mantel des Reifens, wurde erst jetzt
entdeckt und brachte weitere 4 Euro in die missbrauchte Getränkeflasche, die bereits
seit Eh und Je als Kasse dient und jedem Havaristen unter heftigem Schütteln vorgehalten
wird. Wer die Statuten kennt weiß auch, dass hörbares blähen und Schimpfwörter
gegen Mitreisende geahndet werden. Diskussionen über die Qualität eines Schimpfwortes
werden von der Gruppe meist konzertiert unterbunden. Bei Ganderkersee querten wir die
Autobahn. Auf einer Autobahnbrücke verweilt man einige Minuten, um den rasenden
Reisenden durch ihre Windschutzscheiben zuzuwinken und den extrem schellen Fahrzeugen
hinterher zu schauen. Gleichzeitig ist vorher eine Steigung zu bewältigen und
wenn einer für diese Pause vom Radel absteigt, gibt es auch hier eine Zwischenmahlzeit.
So kam die mühsam im Hotel nachgefüllte Taschenflasche mit dem "Tullermor
Dew" zum Vorschein. Für Kenner sicher ein edles Gesöff, ob einer von
uns ein richtiger Kenner ist, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls nimmt jeder ein
Schlückchen, schüttelt sich als hätte er in eine Zitrone gebissen und
ruft dann laut wie lecker das Zeug doch ist. In Plattdeutsch klingt das Ganze ungefähr
so: "Harri Jasses, wat lecker". Hierzu reichen die Damen meist Süßigkeiten
wie Gummibären oder die Tüte mit einer Auswahl an verschiedenen Minischokoriegeln.
Wenn Alfred in die Packtasche greift kann man noch mit einigen Mettenden rechnen. Beim
folgenden Start geht es dann erstmal bergab und wer nicht allzu sehr bremst, kommt
dem Tagesziel ohne viel treten wieder einen Kilometer näher. Bergab ist prima,
bergauf unangenehm. Auch ein wiederkehrendes Thema. Meine Ulrike, die wegen Alfreds
Trillerpfeife und der berühmten weiblichen Intelligenz meist hinten fährt,
behauptet von einigen, sie würden vor einer Steigung bremsen anstatt doch jeden
Schwung hierfür zu nutzen. Dieses sehr energiebewusste Denken hängt sicher
auch damit zusammen, dass wir beide doch einigen Pfunde mehr zu transportieren haben
als die Anderen obwohl unsere Packtaschen nicht größer ausfallen. Das mit
den vorausfahrenden Spontanbremsern ist allerdings in schlechteren Wegstrecken fataler.
So zu einem Halt verurteilt, kann nasse Füße bedeuten. Versuchte man gerade
noch zwischen zwei Pfützen hindurch zu fahren, kommt in dem ausgefahrenen Weg
an der höchsten Stelle zum stehen und dadurch nicht mit den Füßen an
den Boden ist die ausweglose Situation geboren und man liegt samt Packtaschen halbwegs
im Dreck während der verursachende Vordermann im trockenen und ebenen Gelände
fragt: "Wat häst du denn". Ich wollte eigentlich nicht schon wieder
von Jörg anfangen, aber ein gewisser Abstand zu gewissen Vordermännern ist
sehr ratsam. Das gleiche Maleur hatte Renate mit ihrem Gatten. Sie stand mit den Füßen
im Wasser und musste die Socken wechseln. In Hude erwartete uns die Klosterschänke
für die letzte Übernachtung der Tour. Die Räder kamen übernacht
auf die Kegelbahn und standen noch nie so warm und trocken. Auch dieses Hotel war super
und die Zimmer hatten alles war das Herz begehrt. Bisher hatten wir mit dem Wetter
richtiges Glück gehabt. Es war nicht allzu windig und wenn es mal regnete, saßen
wir gerade im Trockenen oder hatten bereits unsere Herberge erreicht. Vor dem Abendessen
hatte ich mich noch mal auf Bett geschmissen und die Nachrichten mit dem Wetterbericht
geschaut. Kachelmann sprach von Winden mit der Stärke 6 aus westlicher Richtung
und Regenschauern. Also gab es einen triftigen Grund sich für den nächsten
Tag zu stärken. Für Abendessen und Frühstück hatte man uns in dem
edlen Hause einen separaten Raum eingedeckt. Und wir waren unter uns.
Nach dem Frühstück und den üblichen Aufbruchprozederen verließ
uns Berthold. Er hatte ein Taxi mit Fahrer für sein Rad bestellt. Dass am nächsten
Morgen eine Auswechselung im Mannschaftsbereich stattfand, war schon früh bekannt
und hatte scheinbar nichts mit der Wetterprognose für den letzten Tag zu tun.
Angeblich musste Bertold an einem Bosselwettkampf teilnehmen, der ausgerechtet an diesem
Wochenende stattfand und für den er sich qualifiziert hatte, was dann auch der
Wahrheit entsprach. Seinen Bruder Hans-Günter hatte er zu seiner würdigen
Vertretung für die restliche Strecke verpflichtet. Er kam mit dem PKW und die
Fahrzeuge wurden getauscht. Schade eigentlich, kamen wir doch jetzt in die Marschgegend,
die Berthold so gut kennt. Er ist bei der Firma Burmann beschäftigt und, meist
mit einem Pieper auf Bereitschaft damit beauftragt, die elektrische Versorgung im Raume
Weser-Ems aufrecht zu erhalten. Mit einem rot-weißen Bulli und einem Minibagger
im Schlepptau zu defekten Hochspannungsleitungen unterwegs, kommt er scheinbar in die
entlegensten Ecken dieser Gegend und kann davon tolle Geschichten erzählen, die
ihm jetzt sicherlich wieder eingefallen wären. Ein großer Vorteil war, dass
wir das überflüssige Gepäck im Kofferraum des Wagens verstauen konnten,
denn ein Rad ohne Taschen und Koffer fährt wie motorisiert. Nach dem Abschied
von unserem Berthold folgte nun unser Aufbruch. Alfred hatte seine Elektronik gebootet
und wasserdicht in der Tupper-Topits-Kombination untergebracht. Jeder klagte noch mal
kurz bei der Berührung zwischen Popo und Sattel, dann ging es in die letzte Etappe.
Hans-Günter war zu seinem Einstand mit einer Flasche Schnaps ausgestattet und
nach den ersten 10 Kilometern wurde beim ersten kleinen Stopp auch dieses Destillat
verköstigt. Heute sollten wir uns doch etwas anstrengen müssen. Keine Bäume,
die einem den frontalen Wind brechen konnten. Der angesagte Regen war jedoch nicht
erwähnenswert. Vor einem Schauer hatte uns der Giebel einer großen Scheune
geschützt, ein anderer wurde unter einem kleinen Vordach ausgesessen. Dem Schauer
an der Schleuse in Elsfleth konnten wir uns leider nicht entziehen. An der herabgelassenen
Schranke hatte Alfred noch eine langjährige Freundin getroffen, die sich rein
zufällig auch auf einer Radtortour befand, dann kam es von oben und jeder legte
einen Supersprint hin, als wären wir auf der Champs Elysées in den letzten
Metern der Tour de France. Ziel war irgendeine Gaststätte, die uns ein Mittagessen
bereiten konnte. Wir haben dann erst mal am Sitztresen einer gemütlichen Schifferspelunke
eine heiße Schokolade verköstigt. Scheinbar hier ein seltenes Getränk,
denn die kneipengegerbten Gesichter der scheinbar zum Inventar gehörenden Gäste
haben uns misstrauisch beobachtet, uns aber trotzdem den Weg zum nächsten Imbiss
verraten. Im Großen und Ganzen sind wir aber trockener und schneller als erwartet
nach Rastede gekommen. Geplant war, das Reststück bis Jever mit dem Zug zu fahren
und beim Bahnhofsnahen Chinesen das übliche Abschlussessen einzunehmen. Um den
durchschnittlichen Brennwert unserer Nahrungsaufnahme nicht zu unterschreiten, mussten
wir jedoch in Rastede, vorm besteigen des Regionalzuges noch Kaffee und Kuchen zu uns
nehmen. Dann ging es gemütlich zum Bahnhof. In Jever wurden wir herzlich von Edith
empfangen, ihr Gatte Alfred natürlich besonders. Der Chinese hatte für uns
den großen, runden Tisch reserviert und es gab Ente, Schweinefleisch süß-sauer,
Rind und Chicken mit mehr als sieben Köstlichkeiten. In der Mitte des Tisches
war eine Drehscheibe montiert, die das servieren vereinfachte solange nicht zu schnell
gedreht wurde. Am Ende waren alle sehr zufrieden, das Wetter war besser als von Alfred
gefälscht und wir hatten wieder eine Maaljoogertour mit offiziellen 229,640 km
hinter uns gebracht. Ich freue mich schon aufs nächste Mal. Aber vorher geht es
zu dritt von Travemünde nach Pennemünde. WAT WIET! |