Ich nenne ihn mal Heinrich Janssen.
Heinrich Janssen, Rentner und wohnhaft in Rastede Mühlenstraße, war diesen
Freitag wieder mal damit beschäftig, den Rasen seines Vorgarten zu mähen.
Leider hatte sein betagter Rasenmäher nach mehrmaligem Startversuch noch keinen
Ton von sich gegeben und Heinrich hatte sich gerade mit dem Zündkerzenschlüssel
mühsam gebückt, um diese heraus zu schrauben und mit einer alten Drahtbürste
zu Leibe zu rücken. Genau in dem Moment, ertönte von der Straße her
ein lauter Gruß: "Moin". Heinrich schreckte wieder hoch, erwiderte
den Gruß, doch die Person war schon vorbeigeradelt. Er konnte sich wieder dem
störrischen Motor widmen und bückte sich erneut. Und wieder: "Moin".
Dieses mal eine Frauenstimme. Heinrich, wieder kerzengerade und mit dem Werkzeug in
der Hand erwiderte den Gruß, erkannte aber nur noch den Rücken der Radfahrerin.
Blaues Sweatshirt mit gelber Aufschrift. Die Situation kam ihm bekannt vor, so als
hätte er sie vor einigen Jahren schon einmal erlebt. Noch in Gedanken und mit
dem Versuch sich zu erinnern beschäftigt, startete er einen dritten Anlauf und
krümmte sich wieder zur Zündanlage seines einzigen motorisierten Gartengerätes.
"Moin, Moin". Wieder in der Ausgangsposition des Reparaturversuches, eine
Hand allerdings den Rücken massierend, antwortete er auch diesen beiden Radfahrern
freundlich. Nun war er so schlau, die Situation abzuwarten und, wie zur Belohnung,
folgten zwei weitere Radfahrer mit ihrem norddeutschen Gruß. Diesmal konnte er
die gelbe Aufschrift auf dem Rücken eines Pullovers lesen. "De Maaljoogers
up Tour". Das kam ihm bekannt vor. Er ging die vier Schritte bis zur Grundstücksgrenze
um sich etwas über die Ligusterhecke zu beugen. Diese hatte er am letzten Wochenende
in exakte Form gebracht, unmotorisiert, aber mit Schnur. Vorsorglich schaute er in
die Richtung, aus der die freundliche Formation gekommen war. Aber es war niemand mehr
in Sicht. Das hatte er schon mal erlebt - genauso - jedoch waren es damals bestimmt
zehn Stück und sein Rücken war noch in besserer Verfassung.
Ja, da waren Sie wieder, die Maaljooger. Stark dezimiert, aber mit anspruchsvoller
Tagesetappe. Hijlke, Linda, Berthold, Manuela, Uli und Ewald. Alfred, unser Oberst,
war immer noch gehandikapt. Da wir uns aber alle für Freitagabend in Kramelheide
verabredet hatten, brauchte er seine Frau Edith als Autochauffeur, die damit auch ausfiel.
Renate war die Strecke zu lang und hat sich deshalb den Automobilisten angeschlossen.
Der Rest hatte keine Zeit oder keine Lust. Auch unter der Zuhilfenahme der Nord-Westbahn
und einem Start in Rastede war die Strecke nicht unter 70 km zu bringen. Geplante Weserpassage
in Sandstedt, da die Fähre in Kleinensiel nach Eröffnung des Wesertunnels
den Dienst eingestellt hat. Wichtig war nur gutes Wetter.
Manchmal denke ich, das Wetter wird in einer großen Schaltzentrale von einem
übellaunigen alten Mann mit dem Gesicht von Dieter Bohlen gemacht. Ich sehe ihn
förmlich vor mir, mit knappen Ressourcen, die Wolken verschiebend. Immer darauf
bedacht, die Menschheit zu ärgern aber vollkommen überfordert, da es ja so
viele gibt, die es zu ärgern gilt. Dieser Überforderung hatten wir es sicherlich
zu verdanken, dass die Sonne schien. Der leichte Gegenwind stammte bestimmt noch von
einer anderen Attacke auf die friedlichen Bürger der Wesermarsch. Als das Mail
mit dem Hinweis auf unsere Radtour diese Schaltzentrale erreichte, waren wir schon
fast an der Weser. Als Reaktion war sicherlich ein Wolkenbruch geplant, der uns auf
Fähre durchnässen sollte. Aber unser Timing war zu gut. Die Fähre erwartete
uns abfahrbereit und wir schafften es trocken auf die andere Seite der Weser bis unter
eine Bushaltestelle. Ich gehe davon aus, dass "Dieter" sich ärgerte
und von Wolkenbruch auf eine viertel Stunde Landregen umgeschaltet hat. Natürlich
nur, um uns an anderer Stelle zu erwischen und das Wasser wegen der Rezession hierfür
zu sparen. Nach der viertel Stunde Landregen konnten wir dann weiter und blieben auch
vorerst unbehelligt. "Dieter" hatte seine Aufmerksamkeit sicherlich einigen
Radfahrern in den Niederlanden geschenkt. Die mochte er auch nicht und gehörten
zu seinem Zuständigkeitsbereich. Man muss sich kümmern, wenn man befördert
werden will. Schließlich soll der Job für Afrika neu vergeben werden und
da hat man Wasser für Überschwemmungen zur Verfügung. Aber das war nicht
"Dieters" Tag. Nach den Holländern und einigen Ostfriesen war wieder
Zeit nach uns zu schauen. Wir hatten mit Zwischenstopp und Mittageessen in Ovelgönne
fast das Etappenziel erreicht. Den für uns reservierten Wolkenbruch konnte er
nur noch über die Dorfkneipe von Stubben schieben. Ein Glück, das auch in
Stubben die Häuser hohl sind. Zusätzlich war Kaffee und unterschiedlich groß
geschnittener Kuchen zu bekommen, den wir uns mit Vorfreude auf Kramelheide schmecken
ließen.
Wenn wir von Kramelheide sprechen, meinen wir das Seminar- und Ferienhaus mit angeschlossenem
Skulpturenpark. Diese Übernachtungsmöglichkeit hatte Alfred bereits für
die Tour 2003 ausfindig gemacht. Es hatte uns damals so gut gefallen, dass wir dieses
Ziel wieder spontan für die Zweitagestour gewählt haben. Hier fühlt
man sich fast wie Zuhause. Vertrauensvoll werden einem fast alle Einrichtungen, vom
gut gefüllten Kühlschrank, dem Weinregal oder der Bibliothek, zur Verfügung
gestellt. Wir hatten beispielsweise wieder den Wunsch zu Grillen und uns wurde die
am Park angrenzende Liegehalle mit den entsprechende Sitzgarnituren, dem Grill, Getränken
und Grillfleisch vorbereitet, waren aber den ganzen Abend selbst bedienend unter uns.
Vollkommen unkompliziert. Während Hijlke uns die Würstchen und Schnitzel
zubereitete, konnte jeder seinen Teller mit Salat füllen, das Brot mit Kräuterbutter
verfeinern und sich Bier oder Wein einschenken. Es war ein schöner Abend mit Gesprächen
über alte Zeiten. Dann ging es in die gemütlichen Zimmer mit den weichen
Matratzen. Ich habe gut geschlafen.
Für das Frühstück und andere Malzeiten ist dem Hauptgebäude ein
riesiger Wintergarten mit Blick in den Skulpturenpark angeschlossen. Die unverglasten
Flächen sind mit Detailfotos der Kunstobjekte aus dem Park geschmückt. Ein
wunderschöner Raum in dem wir am nächsten Morgen gemeinsam frühstücken
durften. Hierbei konnte der enge Zeitplan für die Rückfahrt erörtert
werden. Heute sollten zwei Fähren um ihren Dienst bemüht werden. In Bremerhaven
zurück über die Weser, eine Fähre, die in ca. halbstündigem Rhythmus
fährt. Später dann über den Jadebusen nach Wilhelmshaven. Letztere Verbindung
wird aber nur einmal täglich angeboten und zwar um halb fünf, war von Alfred
zu hören. Also durften wir nicht trödeln. Nach dem Packen der Räder
kam der große Abschied. Ich glaube, Alfred wäre gerne mit uns gefahren.
Um noch mal zu "Dieter" zurück zu kommen. Der hatte scheinbar verschlafen
oder komplett resigniert. Die Sonne schien und der vergessene Wind, mit dem er uns
gestern etwas gequält hatte, kam immer noch aus der gleichen Richtung, für
die heutige Tour erfreulicherweise von hinten. Gute Voraussetzungen für eine entspannte
Fahrt bis zur gemütlichen Wartebank am ersten Fähranleger. Wir sahen extrem
schnell fahrende Züge, Traktoren in Sandwegen mit überladenem Anhänger,
kleine und große Windkraftanlagen - für Hijlke immer ein Thema, eine Cessna,
deren Pilot Landeanflüge übte, und vieles mehr. Auf die land- und forstwirtschaftlichen
Besonderheiten wurden wir leider nicht hingewiesen, da die hierfür zuständige
Person nicht dabei war. Für die erste Pause hatten wir uns das alte Fährhaus
nach der Weserpassage ausgesucht. "Der hier angebotene Kuchen zeichnet sich allerdings
nur durch gleich groß geschnittene Stücke aus", war von Uli zu hören.
Linda meinte sogar das Fabrikat zu erschmecken. Auf jeden Fall aber eine Stärkung
für die Fahrt durchs "Budjadinger Land", die Halbinsel zwischen Jadebusen
und Wesermündung. Ein Klacks auf der Mitteldeichstraße mit dem Rückenwind,
zumal die zweite Fähre erst um halb sechs erschien. Mit der eingeplanten Zeitreserve
bedeutete die Ankunft in Eckwarderhörne eineinhalb Stunden Wartezeit. Ein Grund
für unsere Restaurantkritikerinnen nun das Speiseeis des hier ansässigen
Ausflugslokals zu testen. Neben Verwechselungen vom kellnernden Personal gab es jedoch
nicht zu bemängeln. Das Besteigen der Jadefähre erfolgt über eine, ins
Meer ragende, abschüssige Betonfläche. Sie ist bei Niedrigwasser im Nutzbereich
mit Seetang und Muscheln bewachsen und eine rutschige Angelegenheit. Der Reihe nach
wurden ungefähr 40 Räder rauf getragen. Die eigentliche Fahrt dauert ca.
eine halbe Stunde und endet im Hafen der Jadestadt. Da wir für die Rückfahrt
wenig geplant hatten, war der auf uns wartende Regionalzug nach Jever eine Überraschung.
Wir waren so müde, dass uns die Bewältigung dieser Teilstrecke so am angenehmsten
erschien. Ausgenommen Berthold, er wollte auch noch den Rest abradeln. Im Zug hatten
wir uns dafür entschieden, das Abendessen auf einen anderen Tag zu verschieben.
Dann wären wir auch sicher frisch und vollzählig.
Alles in Allem ein gelungener Trip. Ein Kompromiss zwar, da Alfred ursprünglich
ja eine Viertagestour geplant hatte und wir eigentlich komplett absagen wollten. Normalerweise
fahren wir nicht ohne den Messias. So aber brauchte die Buchung der Zimmer in Kramelheide
nicht storniert werden und wir hatten ein gemütliches Beisammensein. Eine Tatsache
ist, dass wir den Vorsprung einiger Mitglieder in der offiziellen Maaljoogerstatistik
etwas dezimieren konnten. Etwas, dass dem Spitzenreiter überhaupt nicht geschmeckt
hat. Leute, ich freue mich auf das nächste Mal, hoffentlich dann satellitennavigiert
und land- und forstwirtschaftlich geführt. "Dieter" wird dann sicherlich
für Afrika zuständig sein. Und denkt dran, wie müssen noch gemeinsam
zu Abend essen.
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